Dienstag, November 22, 2011

Suchtpolitik statt Drogenkrieg

Im Tagesrausch-Interview mit Heide Hagen, der suchtpolitischen Sprecherin der Berliner Piratenpartei, informiert sie die Zuschauer über den “Suchtpolitischen Antrag zum Programm der Piratenpartei”.

Sie erklärt, warum die Repression gescheitert ist, wie eine genussakzeptierende Politik helfen kann, Schaden von der Gesellschaft abzuwenden und beantwortet die Frage, ob Altersgrenzen und Verbote tatsächlich Jugendliche vor (Drogen-)Missbrauch und Abhängigkeit schützen.

Suchtpolitischer Antrag zum Programm der Piratenpartei Deutschlands

Von alters her sind Rausch und Sucht Bestandteil jeder Kultur. Diese Tatsache erfordert es, sich vorurteilsfrei mit dem Konsum von Genussmitteln und dessen Folgen auseinanderzusetzen, um mit einer pragmatischen Suchtpolitik Schaden von der Gesellschaft abzuwenden.

Die bisherige, repressive, vorwiegend auf Abstinenz abzielende Drogenpolitik ist offensichtlich gescheitert: Sie schuf einen Schwarzmarkt, der weder Jugend- noch Verbraucherschutz kennt und die Rechte von Nichtkonsumierenden ignoriert.

Die Piraten folgen einer auf wissenschaftlichen Fakten beruhenden Suchtpolitik. Basis dieser Suchtpolitik sind:

1. Umfassende, ideologiefreie Aufklärung

Jede Lust und Begierde kann zu einer Abhängigkeit führen. Dieser Kontrollverlust über die eigenen Bedürfnisse soll durch frühstmögliche Prävention vermieden werden. Grundlage risikobewussten, hedonistischen Verhaltens ist das Wissen über Wirkung, Nebenwirkung und mögliche gesundheitliche Schäden nicht nur von illegalisierten Genussmitteln, sondern von allem, was in irgendeiner Weise zur Sucht führen kann. Dieses Wissen muss von Kindheit an vermittelt werden.

2. Eigenverantwortung und Genusskultur

Nur wer seine Bedürfnisse zu reflektieren und Gruppenzwang zu widerstehen gelernt hat, kann selbstbewusst und selbstbestimmt genießen. Genuss und Rausch sind Bestandteil unserer Gesellschaft und erfüllen grundlegende, soziale Funktionen. Der Respekt vor der freien Entscheidung des Individuums und das Vertrauen in seine Vernunft und seine Begabung zur Lebensfreude ist die Voraussetzung zur Etablierung einer Genusskultur, die den Rausch als schöpferische Möglichkeit zu nutzen versteht.

3. Jugend- und Verbraucherschutz

Der Konsum und der Erwerb von Genussmitteln muss legalisiert werden. Andernfalls ist der Staat nicht in der Lage, regulierend einzugreifen. Durch die Prohibition stiehlt sich der Staat fahrlässig aus der Verantwortung und überlässt seine Bürger einem unkontrollierbarem Schwarzmarkt ohne Jugend -und Verbraucherschutz. Legalisierte Genussmittel könnten endlich einer staatlichen Qualitätskontrolle unterliegen. Beim Erwerb von Genussmitteln soll künftig ein Beipackzettel zur Verfügung stehen, der über Art und Dosis als auch über Hilfsangebote informiert.

4. Hilfe für Risikokonsumenten

Nicht jeder kann mit Genussmitteln verantwortungsvoll umgehen. Abhängige und Abhängigkeitsgefährdete brauchen unser Verständnis und niedrigschwelligen Zugang zu allen Ebenen der Suchthilfe. Die Piraten werden schadensminimierende Sofortmaßnahmen wie Spritzenabgabe und Drug Checking ermöglichen. Der flächendeckende Ausbau des Netzes an Beratungs -und Hilfseinrichtungen wird nicht nur die größte Not lindern, sondern Angehörige und Co-Abhängige miteinbeziehen. Krankenkassen und Gesundheitssysteme werden so entlastet.

5. Schutz von Nichtkonsumierenden

Staatliche Reglementierung sollte sich darauf beschränken, Verhalten zu sanktionieren, das Dritten schadet. Der Staat muss die Freiheitsrechte aller Bürger achten. Allgemeine Drogentests am Arbeitsplatz lehnen die Piraten ab. Sie sind auf gefährliche Berufe und Tätigkeiten zu begrenzen. Ebenso dürfen drogenpolitische Scheuklappen die medizinische Versorgung von Schmerzpatienten nicht beeinträchtigen.


Diese fünf Punkte sind die Grundlage einer Suchtpolitik, in deren Mittelpunkt der verantwortungsbewusste Mensch und kein illusorisches Abstinenzziel steht. Betrachtet man dann noch die Milliarden, die durch die Einstellung der Strafverfolgung eingespart und die Milliarden, die durch eine angemessene Besteuerung von Genussmitteln erwirtschaftet werden können, kann man davon ausgehen, dass diese pragmatische Suchtpolitik detailliert umgesetzt werden kann.

Im nächsten Tagesrausch folgt ein Interview mit Georg von Boroviczeny zum “Konkurrenzantrag”, der eine neue Drogenpolitik beginnen will.

Mehr zum Thema “Piratige Suchtpolitik”

  • Eine -neue- Drogenpolitik? - Georg von Boroviczeny über den drogenpolitischen Antrag zum Programm der Piratenpartei, Jugendschutz ohne Verbote und die schädlichen Folgen der Repressionspolitik. (vom 29.11.2011)
  • Drogenpolitik (nicht nur) für Piraten - Interview des Internet-TVs Piratorama mit dem Hanfaktivisten Steffen Geyer, der über das suchtpolitische Programm der Piratenpartei in Berlin und die Hanfparade informiert. (vom 17.09.2011)
  • Vom Substanzfaschismus zur Suchtpolitik - Diskutiert die Unterschiede zwischen Drogenverboten und einer auf Akzeptanz beruhenden Suchtpolitik. Warum Repression Drogenelend vergrößert und wie ehrliche Präventionsarbeit aussieht. (vom 06.09.2010)
  • Das Onlineangebot der Piratenpartei bietet Informationen zu vielen Politikfeldern.
  • Wenn ihr Kontakt mit Heide aufnehmen wollt, geht das über ihre Webseite www.Orfin.de oder via Twitter @8undaf.

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