Wer nicht gerne denkt, sollte wenigstens von Zeit zu Zeit seine Vorurteile neu gruppieren.
(Luther Burbank, US-amerikanischer Pflanzenzüchter)
Am 7. September versammelten sich in Köln ca. 300 Menschen, um die Legalisierung von Cannabis als Medizin zu fordern. An der vom Cannabis Colonia e.V. organisierten Demonstration nahmen zahlreiche Patienten (mit und ohne Ausnahmegenehmigung nach §3 BtMG) teil.
Ihrer Forderung nach schnellem, kostenfreien und unbürokratischem Zugang zu cannabinoidhaltigen Medikamenten bzw. der Genehmigung des eigenverantwortlichen Anbaus von Cannabis zu medizinischen Zwecken schloss sich u.a. der Berliner Hanfaktivist Steffen Geyer an.
Rede von Steffen Geyer auf der Dampfparade 2013
Hallo Köln! Danke Jost.
Erstmal einen dicken Applaus für die Organisatoren. Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie das ist, wenn man ein ganzes Jahr arbeitet und dann kommen vielleicht doch nur 300 Leute oder so. Macht doch mal Lärm für Lars und Jost und die ganze Cannabis Colonia Bande.
Und dann liebe Kölner muss ich ihnen leider sagen, dass sie hier einer Täuschung unterliegen. Es wird ihnen nämlich vorgegaukelt, als sei das hier eine Demonstration von und für Patienten, aber die Mehrzahl der Leute die hier ist, sind selbst gar keine Patienten.
Wir leben nämlich leider in einem Land, in dem Patienten, wenn sie für ihre eigenen Rechte kämpfen, mit Strafverfolgung belohnt werden; wenn sie sich zu ihrer Medizin bekennen, soziale Ächtung erfahren und das führt dazu, dass die allermeisten Cannabispatienten sich nicht auf Veranstaltungen wie die Dampfparade trauen. Und das nicht können, weil sie, die sie hier außen sitzen, es zulassen!
Wir leben in einem Land, in dem die Bundesregierung Millionen und Abermillionen Menschen ins Gesicht lacht und ihnen eine lebensverlängernde, lebenserleichternde, lebensrettende Medizin vorenthält. Und sie, die sie hier Draußen in ihren Cafes sitzen und sich den Samstagnachmittag gefallen lassen, sind Schuld daran!
Ja, wir sind nur wenige, aber wir werden jeden Tag mehr, weil fast alle Menschen, die den Mut haben außerhalb der vom Gesetz vorgeschriebenen Schubladen über das Thema Cannabis nach zu denken, nach dem Nachdenken auf dem Platz stehen und nicht mehr am Rand sitzen, sich am Kopf kratzen und fragen, was der Typ mit den roten Haaren von ihnen will.
Ich lade sie dazu ein, die nächsten Tage und Wochen dazu zu nutzen, über das Thema Cannabis vorurteilsfrei nach zu denken. Sie werden dann sehen, dass wir, die wir uns hier auf den Marktplatz trauen, die Wahrheit schon verstanden haben: Dass Cannabis eine uralte, jahrtausendealte Medizin ist, die nebenwirkungsarm, natürlich und kostengünstig von jedem Patienten Zuhause hergestellt werden kann.
Cannabis ist eine Medizin, die nicht für Bayer und für Monsanto und für Sanofi zur Vermarktung frei ist. Und genau das ist der Grund, warum die Medizin heute nicht erhältlich ist.
Natürlich ist es schwer, mit 300 Aufrechten auf einem Marktplatz gegen Menschen mit schwarzen Koffern gefüllt mit Banknoten zu kämpfen, aber wir haben diesen Kampf vor zehn Jahren begonnen und wir werden weiter machen, so lange bis die Menschen in diesem Land Cannabis endlich wieder legal nutzen dürfen.
Und ich sage ausdrücklich: Es geht nicht nur um Cannabis als Medizin. Lassen sie sich nichts einreden. Wenn in deutschen Apotheken Hanf wieder legal zu kaufen ist, dann ist der Kampf noch nicht vorbei und sie sind mich noch nicht los.
Machen sie die Legalisierung von Hanf als Rohstoff, Medizin und Genussmittel lieber gleich, damit sie in den nächsten Jahren Samstag Nachmittag wieder ihre Ruhe haben!
Ich bin heute hier als Vertreter der Hanfparade in Berlin, der größten deutschen Legalisierungsdemonstration und in unsere Team sind sehr wenige Menschen, die eine Ausnahmegenehmigung für Cannabis als Medizin haben. Wir haben stattdessen aber Menschen, denen die Ausnahmegenehmigung vorenthalten wird, obwohl sie schwer an Krebs erkrankt sind; obwohl sie an Leiden leiden, die jedem, der hier am Rand sitzt, kaltlächelnd eine Genehmigung bescheren würde.
Ich möchte mich deshalb hier, als Minimalziel für die nächsten 365 Tage, an sie wenden und bitten, dafür zu sorgen, dass die sogenannte “charakterliche Prüfung” endlich abgeschafft wird.
Cannabis als Medizin muss eine Sache zwischen Arzt und Patient sein. Es kann nicht sein, dass irgendein Sesselpupser bei der Bundesopiumstelle darüber entscheiden darf, ob ein Mensch “charakterlich geeignet” ist, eine lebensrettende Medizin zu erhalten.
Ich weiß, dass die Allermeisten, die mich jetzt hören, eher mit skeptischen Ohren zuhören, aber ich habe den großen Vorteil, dass wir die Argumente und den gesunden Menschenverstand auf unserer Seite haben. Ich kann es mir deshalb erlauben, sie dazu einzuladen, sich bei einer beliebigen seriösen Quelle irgendwo auf dem Planeten mit Informationen über Cannabis zu versorgen.
Das muss nicht zwingend bei mir sein - Obwohl ich ihnen doch ans Herz legen möchte, mal Steffen und Cannabis zu googlen, damit sie merken, dass auch Leute mit langen roten Haaren Ahnung haben können - Aber sie können sich auch einen beliebigen anderen Wissenschaftler oder Ähnliches suchen. Sogar die größten Cannabisskeptiker, wie z.B. Prof. Rainer Thomasius aus Hamburg - auch den bitte mal Googlen - Sogar diese Cannabisskeptiker sagen, dass es eine Frechheit ist und unmenschlich ist, dass den Patienten Cannabis als Medizin vorenthalten wird.
Und wenn sogar die, die am liebsten jeden Kiffer in die Entgiftung schicken würden, den Patienten Cannabis zugestehen würden, dann sollten sie, denen das Thema eigentlich am Arsch vorbei geht, doch endlich mal den Mut haben, zu sagen: Na dann lasst sie doch machen!
Ein Letztes hab ich noch.
Wenn sie jetzt heute hier am Rand sitzen und gesund sind, dann gehören sie glücklichen Wenigen. Wir leben in einer Gesellschaft, die krank macht. Krank macht mit Arbeit. Krank macht mit Stress. Krank macht damit, dass Menschen gegen Menschen ausgespielt werden.
Wir haben am 22. September die Wahl ein Kreuz an der einen oder anderen Stelle zu machen. Wir haben aber tagtäglich die Wahl, zwischenmenschlich eine andere Politik zu beginnen.
Eine gute Möglichkeit diesen ersten zwischenmenschlichen Politikwechsel zu wagen, ist die Veranstaltung heute. Ich lade sie deshalb ein, nach ihrem Kölsch einfach mal in die Mitte zu kommen, bei den Infoständen vorbei zu gehen oder mit den Leuten, die hier auf dem Platz sind, zu sprechen. Dann werden sie feststellen: Wir sind ganz normale Menschen, die nichts anderes wollen, als die Menschenrechte, die sie für selbstverständlich halten.
Und lassen sie sich Eines von mir gesagt sein: Ich habe in den letzten 12 Jahren schon viele Menschen gesehen, die gesagt haben, dieses Thema wird mich nie betreffen und die dann eines Tages aufgewacht sind, nach einem unverschuldeten Unfall mit chronischen Schmerzen oder mit Rheuma oder mit Gicht oder mit einem Glaukom und die festgestellt haben, dass Cannabis die einzige Medizin ist, die ihnen noch bleibt.
Ich rate ihnen, den Kampf für legales Cannabis zu führen, so lange sie selbst noch nicht zu den Betroffenen gehören. Es wird ungleich schwerer, wenn sie erst wie Franjo auf die Veranstaltung getragen werden müssen.
In diesem Sinne hoffe ich, dass wir heute noch ein paar Menschen erreichen, die heute nicht mit uns gelaufen sind und das wir im nächsten Jahr bei einer ähnlichen Veranstaltung viel viel mehr werden - Insbesondere von denen, die jetzt am Rand sitzen und nicht wissen, ob sie mir glauben dürfen.
Mehr Informationen zur Dampfparade auf www.Dampfpara.de
Vielen Dank an Lars, Jost, Sofia, Schmddie & Co für den unermüdlichen Einsatz! Lasst euch von ein paar Regentropfen nicht unterkriegen ;)