Sonntag, Oktober 28, 2012

Sechs Thesen für Diskussionen über Drogenpolitik

Leicht zu leben ohne Leichtsinn, heiter zu sein ohne Ausgelassenheit, Mut zu haben ohne Übermut - Das ist die Kunst des Lebens. (Theodor Fontane, deutscher Schriftsteller)

Der überaus fleißige, bündnisgrüne Drogenpolitiker Maximilian Plenert hat gestern auf seinem Blog “Alternative Drogenpolitik” eine Sammlung von “sechs Thesen für einen Minimalkonsens in der Diskussion über Drogen” veröffentlicht. Obschon ich den Grundgedanken, argumentative Mindeststandards zu benennen, grundsätzlich richtig finde, kann ich mich Max bei seinen Thesen nicht anschließen.

UPDATE: Max hat mich darauf hingewiesen, dass die sechs Thesen einem Strategiepapier der britischen Drogenpolitikorganisation “Transform” entnommen sind.
Sie stammen aus “Tools for the Debate” (ab Seite 20), dienen als Zwischenüberschriften und sind mit Erklärungen versehen. Das Paper sei hiermit zur Lektüre empfohlen!

Max´ Thesen für einen Minimalkonsens in der Diskussion über Drogen

  • Alle Drogen sind potenziell gefährlich und jeder Drogenkonsum ist ein gewisses Risiko
  • Drogenpolitik sollte nachweisbar effektiv sein
  • Drogenpolitik sollte ihr Geld wert sein
  • Politik sollte realitätstauglich und flexibel sein
  • Drogenpolitik sollte versuchen, Schäden zu mindern
  • Drogenpolitik ist in erster Linie Gesundheitspolitik

Zunächst fehlt mir in dem “Minimalkonsens” der Gedanke der Konsumakzeptanz. Das Gegenteil - der weitgehend repressiv vorgetragene Versuch den Konsum bestimmter Substanzen zu verhindern - ist für mich selbst als “Gedankenspiel” in einer Diskussion unerträglich. Zu deutlich ist dieses Ziel in den letzten Jahrzehnten gescheitert. Zu viel vermeidbares Leid, zu viel Krieg und Tod wurden im Namen der Drogenabstinenz in aller Welt verursacht!
Meine erste These für den Minimalkonsens lautet deshalb:

“Obwohl der Konsum berauschender Substanzen nicht risikolos ist, ist eine drogenfreie Gesellschaft weder erreichbar noch wünschenswert. Drogenpolitik muss deshalb (unproblematischen) Drogenkonsum akzeptieren.”

Auch Max zweite These sehe ich kritisch (oder verstehe sie nicht richtig). Es ist mir nämlich unklar, wie die Effektivität der verschiedenen drogenpolitischen Ansätze gemessen werden soll. Die breite Palette möglicher Kriterien wie gesellschaftliche Kosten, Konsumentenzahlen, Therapienachfrage, Anzahl der Strafverfahren, beschlagnahmte Drogenmenge etc. pp. lassen mir zu viel Interpretationsspielraum. Ein Minimalkonsens sollte zumindest nach “unten” eine rote Linie beinhalten, die “Freund und Feind” unterscheidbar macht.
Im Ergebnis möchte ich die zweite These konkretisieren. Sie sollte für mich eher so lauten:

“Die Folgen drogenpolitischer Maßnahmen müssen regelmäßig, praxisnah und nach wissenschaftlichen Kriterien gemessen werden. Wichtigster Maßstab ist dabei die Häufigkeit und Schwere substanzbezogener Suchterkrankungen.”

Max dritte These halte ich für grundfalsch.
Drogenpolitik ist in meinen Augen eine soziale Verpflichtung des Staates. Sie wie im “Minimalkonsens” gefordert über die verwendeten Finanzmittel als Erfolg/Misserfolg zu werten, finde ich gelinde gesagt grenzwertig. Das fällt insbesondere dann auf, wenn man das Wort “Drogenpolitik” durch mögliche Teilziele ersetzt… Der Satz “Jugendschutz sollte sein Geld wert sein” klingt sicher auch in Max´ Ohren nach Quatsch. Qualitätskontrolle, Safer Use, Elendsverhinderung - Die Liste meiner drogenpolitischen Ziele, bei denen sich eine monetären Bewertung verbietet, ließe sich beliebig verlängern.
Meine dritte (Gegen)These lautet deshalb:

“Drogenpolitik darf nicht nach Haushaltslage betrieben werden. Ihr Ziel ist nicht die Steigerung des Bruttoinlandsprodukts sondern der soziale Frieden.”

Wahlplakat der Piratenpartei Berlin - Suchtpolitik statt DrogenkriegWahlplakat “Suchtpolitik statt Drogenkrieg”
fotografiert von Teufel100

Max vierte These “Politik sollte realitätstauglich und flexibel sein” riecht für mich nach Buzzwordbingo. Eigentlich fehlt da nur noch “nachhaltig”, damit sich alle wohl fühlen und keiner konkret werden muss. Sicher ist das Gegenteil der Forderung erkennbar falsch - Also eine Politik die relitätsfremd und unflexibel ist - greifbar und gerichtet erscheint mir Max These jedoch nicht.
Was ich in den Minimalkonsens schreiben würde wäre eher etwas in Richtung:

“Drogenpolitik muss ideologiefrei gestaltet werden. Ihre Wirksamkeit ist fortwährend gemäß der realen Bedürfnisse der (Risiko)Konsumenten zu hinterfragen.”

Im Unterschied zu den bisherigen Punkten kann ich mich Max vorletzter These nur anschließen. Auch in meinen Augen gilt:

“Ziel staatlicher Drogenpolitik sollte die Verhinderung bzw. Minimierung gesellschaftlicher Schäden sein, die vom Ge- und Missbrauch berauschender Substanzen ausgehen.”

Last but not least verortet Max Drogenpolitik in seinen Thesen in den Bereich “Gesundheitspolitik”. Das dies so offiziell heute so ist, ist denn auch eine Errungenschaft der rot-grünen Bundesregierung von 1998. Vorher war die Zuständigkeit für “bundesdeutsche Drogenpolitik” beim Innen- und Justizministerium.
Zufriedenstellend ist der gegenwärtige Zustand indes nicht. Und auch fachlich höchst umstritten. So sieht der anerkannte Drogenforscher Hans Cousto das menschliche Wirken rund um den Rausch eher im Bereich “Kultur” und kämpft für die Loslösung von der Gesundheitsdiktatur der WHO.
Richtig ist, dass Suchterkrankungen für den konkret betroffenen in erster Linie ein gesundheitliches Problem sind, dem primär mit medizinisch-psychologischen Mitteln begegnet werden sollte. Die weit überwiegende Mehrheit der Konsumenten hat aber keine substanzspezifischen gesundheitlichen Probleme. Die Lebensgestaltung dieser Menschen unter dem Label “Gesundheitspolitik” zu politisieren, geht deshalb meiner Meinung nach an der Realität vorbei und widerspricht der vierten These.
Meine Version von Max` letzter These lautet deshalb:

“Drogenpolitik ist in erster Linie Sozialpolitik. Gesundheitspolitische Ansätze können jedoch sinnvoll sein, wenn es im konkreten Einzelfall um die Verhinderung oder Überwindung risikoreicher Konsummuster geht.”

Abschließend noch einmal meine “sechs Thesen” und die Bitte, sie hier oder bei Max zu diskutieren.

Sechs alternative Thesen für einen Minimalkonsens in der Diskussion über Drogen

  • Obwohl der Konsum berauschender Substanzen nicht risikolos ist, ist eine drogenfreie Gesellschaft weder erreichbar noch wünschenswert. Drogenpolitik muss deshalb (unproblematischen) Drogenkonsum akzeptieren.
  • Die Folgen drogenpolitischer Maßnahmen müssen regelmäßig, praxisnah und nach wissenschaftlichen Kriterien gemessen werden. Wichtigster Maßstab ist dabei die Häufigkeit und Schwere substanzbezogener Suchterkrankungen.
  • Drogenpolitik darf nicht nach Haushaltslage betrieben werden. Ihr Ziel ist nicht die Steigerung des Bruttoinlandsprodukts sondern der soziale Frieden.
  • Drogenpolitik muss ideologiefrei gestaltet werden. Ihre Wirksamkeit ist fortwährend gemäß der realen Bedürfnisse der (Risiko)Konsumenten zu hinterfragen.
  • Ziel staatlicher Drogenpolitik sollte die Verhinderung bzw. Minimierung gesellschaftlicher Schäden sein, die vom Ge- und Missbrauch berauschender Substanzen ausgehen.
  • Drogenpolitik ist in erster Linie Sozialpolitik. Gesundheitspolitische Ansätze können jedoch sinnvoll sein, wenn es im konkreten Einzelfall um die Verhinderung oder Überwindung risikoreicher Konsummuster geht.

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